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Prophet im eigenen Land

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Der rote Faden zieht sich durch die Stadt. Er ist das Symbol der Frankfurter Neuen Presse – und verbindet Menschen, die Besonderes für Frankfurt leisten. Jeden Samstag stellen wir einen von ihnen vor. Folge 4: Moustafa Shahin.

 

Er wollte mehr erreichen in seinem Leben. Dabei hat er viel getan. Für andere. Als Mann der Integration könnte man ihn preisen, würde er das Wort, wie es heutzutage besonders im Zusammenhang mit jungen Muslimen verwendet wird, nicht ablehnen. Den meisten von ihnen ist Deutschland Heimat. „Man kann jemanden nicht in seine Heimat integrieren“, sagt er. Er ist auch keiner, der sich feiern lässt, er wirkt lieber im Hintergrund.

Womöglich kommt er deshalb mit dieser einen Idee, die ihn seit Jahren umtreibt, nicht voran. Idee: Das Wort ist zu klein. Ein Lebensprojekt wäre es, das Moustafa Shahin, geboren 1948 in Kairo, aufgewachsen in der süd-ägyptischen Provinz, nicht mehr loslässt, das eines Jugendzentrums von Muslimen für Muslime, einer Anlaufstelle für Jungen und Mädchen jeder Nationalität, jeder islamischen Glaubensauslegung. Eine Art Kompass würde es sein für jene, die zwischen zwei Welten aufwachsen, die hin- und hergerissen sind zwischen islamischer Sittenstrenge zu Hause und den Anforderungen einer westlichen Leistungsgesellschaft, die sich nirgends aufgehoben fühlen, nirgends akzeptiert, die der Gedanke quält, niemandem zu genügen. „Sie haben keine Identität“, sagt Moustafa Shahin. Er klingt dabei wie ein Arzt, der eine fatale Diagnose stellt.

Er hat seit langem eine Theorie, Übertreibung und Untertreibung sind ihre Schlüsselbegriffe. Die übertreiben, flüchten in den Fundamentalismus, eifern für ihre Religion und gegen Andersgläubige, suchen Halt in verschworenen Gemeinschaften. Die sich aufgeben, sind die Untertreibenden. Drogen geben sie sich hin, werden gewalttätig, kriminell, in Straßengangs glauben sie die Anerkennung zu finden, die ihnen anderswo verwehrt bleibt. „Und beide Gruppen werden größer“, so erlebt es Shahin. Studien wie die heftig diskutierten des Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer untermauern seinen Alarmismus, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, befeuert mit ähnlichen Thesen die TV-Talkshows. Islamfeindlich, rassistisch. Die Vorwürfe wiegen schwer. „Aber es ist die Wahrheit“, sagt Moustafa Shahin, der tief gläubige Moslem. Jeder wisse das, der Zentralrat der Muslime, die Politiker. Die Konsequenzen sehen alle: mangelnde Bildung, keine Perspektiven, Armut.

Kritik an Moscheen

Es gibt Fragen, die wiederholt Moustafa Shahin im Gespräch viele Male: „Warum wird so wenig getan?“, lautet eine. Die Moscheen lehren zwar den Koran, aber fühlen sich für Alltagssorgen nicht zuständig. Die Imame sprechen meistens kein Deutsch und ihre Muttersprache so gebildet, dass die in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen kaum ein Wort verstehen. Die Eltern finden sich selbst nicht zurecht, die Schulen sind überfordert, deutsche Jugendhäuser finden nicht genügend muslimische Sozialarbeiter. „Deutsche Sozialarbeiter können gar nicht nachempfinden, wie sich ein junger Muslim fühlt“, sagt Moustafa Shahin.

Große Arbeit, kein Lohn

Er selbst hat vorgemacht, wie einfach es sein kann, etwas zu tun. Der Beweis ist sein Büro, sind die Räume, durch die er vorhin geführt hat. Im dritten Stockwerk eines Zweckbaus in der Mainzer Landstraße ist der Grüne Halbmond beheimatet, eine Caritas für Muslime, wie er den gemeinnützigen Verein, dessen Leiter er ist, umschreibt. Der Grüne Halbmond organisiert die häusliche Pflege Alter und Kranker, bietet islamische Krankenhausseelsorge und Notfallseelsorge an, bildet gemeinsam mit den christlichen Kirchen Seelsorger aus, organisiert Nachhilfeunterricht, bald soll eine erziehungs- und bildungsorientierte Elternarbeit starten. All das ist auch der Beweis dafür: Wo Hilfe benötigt wird, stellen Nationalität und Glaubensrichtung keine Hindernisse dar. 13 Pfleger mit verschiedenen Muttersprachen sind im Einsatz. Schließlich sind die Alten und Kranken darauf angewiesen, dass man sie versteht. Die erste Gastarbeitergeneration wird zum Pflegefall, die einen haben nie Deutsch geredet, andere, besonders die Demenzkranken, haben es vergessen.

Mit den Spenden islamischer Gemeinden und Gönner sollte der Grüne Halbmond finanziert werden, das war der Plan damals, 2006, als Shahin und Mitstreiter den Verein gegründet haben. Doch niemand gibt Geld, nur die Pflegesätze fließen ein, das Personal arbeitet in Teilzeit und Minijobs. „Muslime spenden nur für Moscheen“, sagt Moustafa Shahin, seine Stimme verrät die Enttäuschung. Der Existenzkampf ist längst auch ein persönlicher geworden. Für ein Gehalt, das er sich auszahlen dürfte, reichen die Einnahmen nicht. Er hilft bei der Pflege mit, hat sich selbst zum Seelsorger ausbilden lassen, oft ist er es, den Krankenhäuser anrufen, wenn ein muslimischer Patient oder ein Trauernder Beistand benötigt. Er gebe immer alles von sich, sagt einer, der ihn gut kennt. „Jetzt ist der Grüne Halbmond sein Baby.“

In diesen Tagen denkt Moustafa Shahin öfter darüber nach, dass er für die Kraft, die er dem Grünen Halbmond opfert, eigentlich mehr verdient hätte, wenigstens eine kleine Vergütung, ein bisschen was zum Leben. Dieses Leben meint es zurzeit nicht gut mit ihm. Sein Zweitältester ist im Dezember gestorben, mit 22 Jahren, er war sehr krank. Er spricht nur davon, wenn man ihn nach seinen Kindern fragt. Die drei anderen sind noch daheim, seine Frau ist Hausfrau, am Frankfurter Berg haben sie ihre Wohnung. Mit wie wenig sie auskommen müssen, auch davon will er nicht reden. Bald ist er Rentner, sein Ältester, 24 ist er, verdient etwas in der Ausbildung. „Es ist schwierig“, sagt Moustafa Shahin.

Manchmal, wenn er von etwas erzählt, was ihn bedrückt, ringt er sich ein Lächeln ab, so als wollte er sein Gegenüber nicht belasten. Seine Mimik ist sparsam, seinen Händen gewährt er wenig Spiel. Um es mit seinen Worten zu sagen: Er ist in keiner Weise jemand, der übertreibt oder untertreibt. Den Zwiespalt zwischen zwei Welten hat er nie gefühlt.

Seine Eltern waren einfache Menschen, Sunniten, fromm, aber nicht streng. Sie gehörten dem Volk der Nubier an, arabische und alt-ägyptische Wurzeln vereinen sie in sich, im Süden Ägyptens und im Norden des Sudan sind sie heimisch. Ihre Identität ist von jeher eine doppelte. Den Schüler Shahin begeistern griechische Philosophen, später auch Darwin, Marx und Engels, für den Islam hat er wenig Sinn, als Agnostiker versteht er sich. Er geht nach Kairo, studiert Agrarwissenschaft, macht zusätzlich eine Lehre als Hotelkaufmann, lernt fremde Sprachen. Er, der marxistisch geprägte Humanist, will ins Ausland, irgendwohin, wo nicht nur seine Gedanken frei sind.

1979, er ist 31 Jahre alt, kommt er nach Frankfurt, allein. In den ersten fünf Jahren pflegt er fast ausschließlich Kontakt zu Einheimischen, er will die Sprache beherrschen, er will so schnell wie möglich von dem lernen, was ihm bis heute an den Deutschen imponiert: die Zuverlässigkeit, die Akribie, auch die Toleranz und Debattenkultur. Er arbeitet in einem renommierten Hotel, arbeitet sich hoch bis zum Hauptkassierer. Er lernt seine Frau kennen, eine Ägypterin, zwei Söhne und zwei Töchter bringt sie zur Welt.

Es ist auch die Zeit, da der Staatssozialismus in Osteuropa zusammenbricht, da Moustafa Shahin sich endgültig von Ideologien abwendet und dem Islam zuwendet. Er sucht viele Moscheen auf, damals noch Provisorien in Kulturvereinen. Bald beginnt ihn der allgegenwärtige Nationalismus zu stören. Dass er, der Ägypter, in einer marokkanischen oder türkischen Moschee zwar mitarbeiten, aber nicht mitbestimmen darf, ärgert ihn. Er will etwas anderes, etwas Verbindendes. Ein Gedanke beseelt ihn: Orte zu erschaffen, an denen alle Muslime zusammenkommen. Als das Hotel seinen Arbeitsplatz abschafft, packt er es an.

1995 gründet er den Verein Islamische Informations- und Serviceleistungen (I.S.S.), in dessen Moschee auf Deutsch gepredigt wird. „Es ist die Sprache, die alle Muslime vereint“, sagt er. 1999 schließt sich seine Moschee mit sieben weiteren zur Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) zusammen; sechs Jahre später kommen 25 arabische Moscheen dazu, der Deutsch-Islamische Vereinsverband Rhein-Main entsteht. Dessen Vorsitzender ist er zwei Jahre lang. 2009 und 2010 sitzt er im Rat der Religionen der Stadt Frankfurt, tauscht sich mit Christen, Juden, mit Buddhisten und Hindus aus. Miteinander reden, voneinander lernen. Gemeinsam stark sein. Für sich. Für andere. Formeln sind das, wie sie auch Firmen beschwören. Moustafa Shahin lebt sie, sie gehören zu den sinnstiftenden Lehren, die er aus dem Koran zieht. Zu den Lehren seines Lebens gehört, dass man sich sehr allein fühlen kann.

Seit er sich seinen Traum vom muslimischen Jugendzentrum auszumalen begann, war das oft so. Was ihm vorschwebt, wäre ja ohne Geld von der Stadt nicht zu finanzieren. „Mit jeder Million, die man investieren würde, würde man aber zehn Millionen einsparen“, davon ist er überzeugt. So viele Muslime seien auf Sozialhilfe angewiesen, so viele gerieten auf die schiefe Bahn, die Kosten sind immens. „Warum tut niemand was?“ Es ist diese große Frage, auf die er seit Jahren keine Antwort findet.

Islamische Uneinigkeit

Dabei liegt die Antwort schon in der Gegenfrage. Was tut er denn? Er nickt müde, in seinen Augen steht der Zweifel. So bedächtig und schüchtern er auftritt, kann man sich nur schwer vorstellen, wie er beim Magistrat für seine Idee wirbt und streitet, beharrlich, nervend. Dicke Bretter bohren, heißt das auf gut Deutsch. Moustafa Shahin weiß, wo die Bretter am dicksten sind. Knapp 30 Moscheen gibt es in Frankfurt, für bald jede Nationalität mindestens eine. Manche, wie die Türken, haben mehrere Moscheen, weil sie in mehrere Verbände gespalten sind, und jeder Verband verfolgt andere Ziele, auch politische, zentral gelenkt aus Köln, aus der Türkei, von sonst wo her. Jeder will mitreden, niemand darf entscheiden, die Strukturen sind streng hierarchisch und verkrustet, die Verbände einander nicht immer wohlgesonnen. Moustafa Shahin seufzt: „Wenn ich zu den Politikern gehe, sagen die: Da müssen wir erst mit dieser und jener Moschee reden, mit diesem und jenem Verband.“ In einem Jugendzentrum würde es schließlich darum gehen, wer welchen Einfluss ausübt auf die jungen Muslime.

 

Quelle:
http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Prophet-im-eigenen-Land;art675,156015

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